Ein Herz für Jogginghosen – Manuel Schumann

Balkonien

Das Abscheulichste, das die deutsche Sprache momentan zu bieten hat… und was wir dagegen tun können

Folge 83: Balkonien

Ist es Ihnen auch schon mal so ergangen, dass Ihnen jemand mit verschmitztem Lächeln erzählt hat, er oder sie mache „Urlaub auf Balkonien“? Nein? Dann haben Sie noch einmal Glück gehabt. Nicht alle sind so glimpflich davongekommen.

Ich hasse Balkonien. Oder wie der Lateiner sagt: Ceterum censeo Balkoniem esse delendam.

Man müsste es natürlich empirisch überprüfen, aber mir drängt sich der Verdacht auf, dass die gleichen Leute, die Urlaub auf Balkonien machen, auch „gen Italien“ fahren. GEN-ITALIEN. Verstehen Sie? Kicher.

Während aber die Genitalien-Zahlen in letzter Zeit vermutlich etwas eingedämmt wurden, ist bei „Balkonien“ die Tendenz durch Corona stark steigend. Über eine Million Treffer bei Google. Als linguistischer Epidemiologe bereitet mir das große Sorgen. Wir müssen wieder konsequenter agieren. Was unternimmt die Politik dagegen????

Trotz intensiver Recherche habe ich leider nicht herausfinden können, wer das Wort erfunden hat, wahrscheinlich möchte der- bzw. diejenige anonym bleiben. Oder ist irgendwo untergetaucht (hoffentlich nicht auf Balkonien, das wäre wörtlich betrachtet keine gute Idee). Jedenfalls können wir nicht einmal einen Schuldigen benennen und ächten. Erste Belege habe ich bereits in den 80ern gefunden. Um sicherzugehen, keinem Balkonien-Sager zu begegnen, sollte man also mindestens vierzig Jahre in der Zeit zurückreisen. Als treue Leser*innen dieser Reihe wissen Sie ja, wie sehr ich die Formulierung „Früher war alles besser“ verachte (siehe Folge 45), aber manches war halt schon gar nicht mal so schlecht.

Es ist auch deshalb so tragisch, weil ich das Wort „Balkon“ aufgrund seiner Variabilität sehr mag. Die im Süden häufigste Aussprache ist Balkoon [balˈko:n]. Aber auch sehr schön natürlich: Balkong [balˈkɔŋ]. Wer sich frankophon geben will, spricht es mit nasaliertem Vokal aus: Balkõ [balˈkõ:]. (Und der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass die Schweizer zum Teil auf der ersten Silbe betonen, also BALLkoon [ˈbalko:n].)

Diese Variation wird durch „Balkonien“ vollkommen zerstört. Oder haben Sie schon mal Sätze gehört wie „Nächsten Monat sitze ich mit einem Rotwein gemütlich in der Balkõndie“ oder „Im August geht es zwei Wochen in den Balkongo, das wird aufregend“?

Aber ich möchte mir nicht nachsagen lassen, hier nur rumzumeckern, sondern auch konstruktiv sein. Was können wir also dagegen tun?

Vermutlich nicht viel. Aber es gibt Hoffnung. Nein, nein, hier einen Alternativbegriff einführen zu wollen, ist nicht der richtige Weg. Denken Sie gar nicht erst drüber nach, ich habe es ja oben versucht, ein dämlicheres Wort als „Balkonien“ wird Ihnen sowieso nicht einfallen.

Schon eher kommt für mich die Strategie in Frage, das Gegenüber ernstnehmen zu wollen. Stellen Sie also konkrete Nachfragen: Erkundigen Sie sich nach Staatsform, Nachbarländern, Hauptstadt, Bruttoinlandsprodukt etc. von Balkonien. „Wie ist das mit der Einreise nach Balkonien? Ist Balkonien Schengen-Mitglied? Welche Währung hat es? Sollte man einen Adapter für die Steckdose mitnehmen? Welche berühmten Persönlichkeiten wurden in Balkonien geboren? Sag mal was auf Balkonesisch! Also, wenn du da Urlaub machst, solltest du dich schon ein bisschen für die balkonesische Kultur interessieren, nicht einfach nur faul in der Sonne liegen… Soll das etwa heißen, du hast mir kein Souvenir mitgebracht?!?“

So können Sie die Balkonien-Sager schnell in die Defensive bringen!

Naja. Ehrlich gesagt: Ich glaube, es hilft hier nichts, nur sprachlich zu agieren. Wie schon erwähnt: Die Politik muss handeln. Scholz hält sich mal wieder mit klaren Aussagen zurück, typisch. Er sollte in einer Regierungsansprache verkünden, dass jeder, der das Wort „Balkonien“ ausspricht, und sei es auch noch so ironisch, seinen Balkon samt Wohnung mit sofortiger Wirkung verliert. Balkonien-Sager enteignen! So können wir auch gleichzeitig etwas gegen die Wohnungsnot tun. Zumindest gegen die der Nicht-Balkonien-Sager.

Naja. Ehrlich gesagt: Ich glaube, dass nichts dergleichen passieren wird, sondern es wird von bestimmten Seiten gefordert, dem Problem mit „Technologieoffenheit“ entgegenzutreten. Heißt also: Nichts tun. Vermutlich müssen wir die Sache selbst in die Hand nehmen: Ich gebe zu, es klingt ein bisschen radikal, aber wir müssen die Balkone aller Balkonien-Sager in die Luft sprengen. Ein bisschen Dynamit auf die Balkone, los geht’s. Wobei, nein, eigentlich müssen wir noch ein bisschen weiterdenken: Wir müssen auch unsere eigenen Balkone sprengen, denn theoretisch könnte ja ein Balkonien-Sager auf uns zukommen und fragen: „Na, machst du dieses Jahr Urlaub auf Balkonien? – Ich würde ja gerne, aber irgendein Verrückter hat meinen Balkon in die Luft gesprengt.“ Vielleicht entsteht ja dadurch auf TikTok eine Art „Balkon-Challenge“. Jeder sprengt seinen Balkon in die Luft und filmt es. Und irgendwann ist dann auch eh egal, was der ursprüngliche Grund dafür war.

Ich möchte mich ja nicht selbst loben und tue das auch ganz selten, aber so können wir eine weitere verheerende Balkonien-Welle im nächsten Sommer verhindern. Alleine können wir nicht viel ausrichten, aber gemeinsam, ja, gemeinsam können wir es schaffen! KA-BUMM!


Kommentare

Eine Antwort zu „Balkonien“

  1. Avatar von Primus
    Primus

    Ist mir zwar nicht selbst eingefallen, aber in Österreich gibt es ein mindestens so dämliches Wort wie Balkonien: „Dahamas“ (daham=daheim). Das Problem ist, dass man da nichts so einfach wegsprengen kann. Man müsste schon zum nomadischen Dasein zurückkehren.

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